Der bvse informiert den Mittelstand über Abfall, Sekundärrohstoffe, Recycling und Entsorgung.

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Das Jahr 2024 war für den europäischen Altpapiermarkt ein Jahr voller Extreme. Während das Jahr zunächst verhalten begann, setzten im Frühjahr unerwartet starke Preisanstiege ein – insbesondere bei den Massensorten.

Diese Entwicklung stand im deutlichen Widerspruch zu schwachen konjunkturellen Rahmendaten und war nicht Ausdruck einer steigenden Nachfrage, sondern vielmehr Ergebnis einer angespannten Versorgungslage.

Auslöser der Preisrallye war nicht etwa eine wirtschaftliche Erholung, sondern die begrenzte Verfügbarkeit von Altpapier am Markt. Hinzu kam die Sorge einiger Papierfabriken, bei weiter rückläufiger Rohstoffverfügbarkeit möglicherweise umfangreiche Abstellmaßnahmen einleiten zu müssen – ein Szenario, das einige Marktteilnehmer möglicherweise überschätzt haben. Diese Verknappungsängste führten zu teils überzogenen Marktreaktionen.

Im Herbst 2024 drehte sich der Trend erneut: Die Preise gerieten unter Druck. Ein ähnliches Muster scheint sich auch im Jahr 2025 abzuzeichnen. Erste Marktbeobachtungen deuten darauf hin, dass sich erneut kurzfristige Preissprünge abzeichnen – ohne jedoch eine substanzielle Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu reflektieren.

Die Papierfabriken befinden sich weiterhin in einem schwierigen Spannungsfeld: Auf der einen Seite müssen sie mit hohen Energiepreisen und einer schwachen Nachfrage umgehen, auf der anderen Seite kämpfen sie um die Rohstoffversorgung in einem zunehmend fragmentierten Altpapiermarkt. Werksschließungen und Insolvenzen in Europa in den vergangenen zwölf Monaten unterstreichen den Ernst der Lage.

Trotz aller Herausforderungen bleibt Deutschland führend beim Altpapiereinsatz. Laut dem „Leistungsbericht PAPIER 2024“ des Verbands der Papierindustrie lag die Altpapiereinsatzquote im Jahr 2023 bei beeindruckenden 83 %. Das bedeutet, dass mehr als vier Fünftel der eingesetzten Fasern auf Recyclingmaterial beruhen – ein internationaler Spitzenwert.

Im europäischen Vergleich liegt die Recyclingquote bei durchschnittlich etwa 70 %, während sie weltweit nur rund 50 % beträgt. Insbesondere in vielen Schwellenländern fehlt es weiterhin an der notwendigen Infrastruktur zur Erfassung und Verwertung von Altpapier. Daraus ergibt sich ein erhebliches Potenzial für den Aufbau nachhaltiger Wertschöpfungsketten.

Deutschland bleibt trotz der hohen Recyclingquote Nettoimporteur von Altpapier. Im Jahr 2023 wurden rund 2,8 Mio. Tonnen mehr importiert als exportiert. Dies zeigt: Die heimische Sammlung kann den Bedarf der Papierindustrie nicht decken. Die EU hingegen ist Nettoexporteur und hat 2023 rund 7,6 Mio. Tonnen mehr Altpapier ausgeführt als eingeführt.

Abfallverbringung: Bürokratische Hürden bedrohen internationale Lieferketten

Ein besonders brisantes Thema ist die überarbeitete EU-Abfallverbringungsverordnung, die ab Mai 2027 in Kraft treten wird. Ziel der neuen Vorschriften ist es, Umweltskandale im Zusammenhang mit dem Export unbehandelter Abfälle zu verhindern – auch wenn qualitativ hochwertiges Altpapier hiervon nicht betroffen sein sollte. Dennoch wird der Export nicht-gefährlicher Abfälle in Drittstaaten (Nicht-OECD-Länder) künftig erheblich erschwert.

Für betroffene Handelspartner bedeutet dies: Sie müssen einen Antrag bei der EU stellen, um weiterhin Sekundärrohstoffe wie Altpapier importieren zu dürfen. Die Umsetzung dieses Verfahrens erwies sich in der Praxis als äußerst schwierig – nicht zuletzt, weil es an Aufklärung und Unterstützung seitens der EU-Behörden mangelte. Die betroffenen Unternehmen wurden weitgehend sich selbst überlassen.

Großes Engagement zeigte hingegen der europäische Dachverband EuRIC, dem es durch intensive Lobbyarbeit und Informationsoffensiven gelungen ist, die relevanten Abnehmerländer rechtzeitig zu einer Registrierung zu bewegen. Besonderer Dank gilt dabei Antoine Stilo, der sich maßgeblich für die Lösung des Problems einsetzte.

Das ungelöste Thema: Ende der Abfalleigenschaft für Altpapier

Seit Jahren fordern Branchenverbände, dass Altpapier, das der DIN EN 643 entspricht, nicht länger als Abfall eingestuft wird, sondern als Produkt anerkannt wird. Diese Forderung ist nach wie vor nicht erfüllt. Unterschiedliche Auslegungen innerhalb Deutschlands sowie zwischen den EU-Mitgliedstaaten erschweren den Handel erheblich und führen zu Rechtsunsicherheit.

Ein erneuter Rückschlag war das Scheitern der Verhandlungen über ein EU-weites Abfallende für Altpapier im März 2025. Die beteiligten Dachverbände EuRIC, FEAD und CEPI konnten sich nicht auf eine gemeinsame Linie verständigen. Damit bleibt eine einheitliche europäische Regelung in weiter Ferne. Der Fokus liegt nun auf nationalen Lösungen, doch auch hier sind erhebliche Hürden zu überwinden.

Ein weiteres strukturelles Problem ist die zunehmende Verunreinigung des Altpapiers durch faserbasierte Verbundverpackungen. Diese Verpackungen erschweren das Recycling erheblich, da sie sich oft nicht sortenrein trennen lassen. Die Qualität der blauen Tonne leidet sichtbar – was langfristig auch den Wertstoffkreislauf unterminiert.

Das derzeitige System überlässt die Trennverantwortung dem Verbraucher – ein unrealistischer Ansatz, der in der Praxis scheitert. Die Verantwortung für recyclingfähige Produkte muss stärker in die Produktgestaltung und Verpackungsentwicklung verlagert werden.

Initiativen wie 4evergreen arbeiten an Lösungen, jedoch ist die Entsorgungswirtschaft in diesen Projekten noch deutlich unterrepräsentiert. Hier besteht dringender Handlungsbedarf, um praxistaugliche Ergebnisse zu erzielen.

Der bvse-Fachvorstand Papier ist in verschiedenen Gremien und Institutionen aktiv – unter anderem als ständiges Mitglied im EUWID-Beirat. Gemeinsam mit anderen Branchenakteuren wird daran gearbeitet, dem EUWID-Index jene Anerkennung zu verschaffen, die ihm zusteht. Der EUWID gilt als verlässlicher, nachvollziehbarer und praxisnaher Marktindikator – eine Einschätzung, die sich bislang jedoch noch nicht bei allen Kommunen durchgesetzt hat.

Fazit

Der Altpapiermarkt steht vor tiefgreifenden Herausforderungen: Preisvolatilität, regulatorische Unsicherheiten, qualitative Verwerfungen und internationale Handelsbarrieren treffen auf eine Branche, die sich inmitten einer Transformation befindet. Dabei zeigt sich: Altpapier bleibt eine Schlüsselressource der Kreislaufwirtschaft – nicht nur in Europa, sondern weltweit.

Umso wichtiger sind jetzt Weitblick, Kooperation und ein gemeinsamer politischer Wille, die bestehenden Hemmnisse zu überwinden. Die Marktteilnehmer brauchen Planungssicherheit, praktikable Rahmenbedingungen und eine verlässliche politische Unterstützung, um ihre Rolle in der nachhaltigen Wertschöpfung auch zukünftig erfüllen zu können.

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